von

Wie ein Übergangsmanagement zwischen Haftzeit und anschließender Freiheit strukturell und inhaltlich aufgebaut werden kann, wird in Deutschland auf ganz unterschiedliche Art und Weise gelöst. Während einige Bundesländer Resozialisierungsgesetze entwickelt haben, um Strukturen zu verstetigen und aufzubauen, gibt es in Sachsen-Anhalt eine enge Zusammenarbeit zwischen den Vollzugsanstalten, dem Sozialen Dienst der Justiz (Bewährungshilfe) und den Vereinen der Freien Straffälligenhilfe ohne gesetzliche Festschreibung. Der Landesverband für Kriminalprävention und Resozialisierung Sachsen-Anhalt e. V. (LKR e. V.) fungiert dabei als Dach- und Fachverband der Freien Straffälligenhilfe, der Gefährdetenhilfe sowie der Jugend- und Bewährungshilfe in Sachsen-Anhalt.

Auf die Vielzahl an unterschiedlichen Problemlagen der Klient*innen (z. B. Sucht, psychische Erkrankungen, Schulden, Gewalt(-erfahrungen), fehlende soziale Bindungen, fehlende Schulabschlüsse etc.) müssen angemessene Lösungen bzw. Angebote gefunden werden. Radikalisierung kann unter Umständen eine weitere Problemlage sein. Auch auf neue gesellschaftliche Herausforderungen muss angemessen reagiert werden. Dies macht eine ständige Weiterentwicklung und -qualifizierung der Fachkräfte in sehr unterschiedlichen Bereichen notwendig – auch in Bezug auf Radikalisierungsprävention.

Um die Fachkräfte gut unterstützen zu können, haben sich folgende Schritte bewährt:

1. Etablierung von regelmäßigen Treffen für Austausch, Vernetzung und Fallbesprechung mit den Fachkräften, die das Übergangsmanagement gestalten

Einige Träger der Freien Straffälligenhilfe verfügen nur über jeweils eine Personalstelle. Dies erschwert einen Austausch. Folglich erleben sich diese Fachkräfte oft als „Einzelkämpfer*innen“. Um einen Austauschrahmen zu schaffen, in dem sie nicht nur von uns beraten werden, sondern sich auch untereinander austauschen und unterstützen können, wurde die „Arbeitsgruppe Fachkräfte“ initiiert. In der Arbeitsgruppe können die Fachkräfte ihre Bedarfe, vor allem auch im Austausch mit den anderen Fachkräften der AG, nach Fortbildungen einbringen und Unterstützung finden. Entsprechend der Problemlagen werden fachspezifische Beratungen zu phänomenspezifischer Radikalisierung einbezogen.

2. Durchführung des Fortbildungsformats #Wissensdurst

Fortbildungen, zu denen die Fachkräfte lange Anfahrtswege haben, werden aufgrund der knappen zeitlichen, personellen und finanziellen Ressourcen meist nicht angenommen. Daher entwickelte der LKR e. V. das Fortbildungsformat #Wissensdurst auf seiner Intranet-Plattform. Die Fachkräfte der Straffälligen- und Bewährungshilfe Sachsen-Anhalts können sich hier selbständig je nach Interesse und Zeitkontingent zu spezifischen Fachthemen, wie beispielsweise belastende Situationen in der Sozialen Arbeit, Schutz und Sicherheit in der Arbeit, aber auch Themen wie Umgang mit Syndromen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit oder Verschwörungserzählungen etc., informieren und fortbilden. Dazu werden entsprechende Fortbildungsmodule, Expert*inneninterviews und thematisch aufbereitete Materialien hochgeladen. Alle drei Monate wird ein neues Thema bearbeitet. Gerahmt wird jedes Fortbildungsangebot von einem digitalen Austauschtreffen, zu dem wir die Fachkräfte sowie Expert*innen einladen. Das Austauschtreffen bietet die Möglichkeit, die Fortbildungsthemen intensiver zu besprechen, Fragen zu klären und sich daraus ergebende oder neue Fortbildungsthemen aufzunehmen sowie das Netzwerk zu erweitern.

Neben dem Fortbildungsformat #Wissensdurst bietet die Intranet-Plattform viele weitere Möglichkeiten für die Fachkräfte. So wird das Intranet auch als Vernetzungsplattform genutzt, um Fachkräfte zu Veranstaltungen einzuladen, Hinweise und Empfehlungen für weitere Veranstaltungen zu geben oder auf interessante Fachartikel hinzuweisen.

3. Übertragung von bewährten Angeboten aus dem Haftkontext in die Straffälligenhilfe

Ein weiterer Schritt, das Übergangsmanagement auch hinsichtlich einer Radikalisierungsprävention vernetzter zu gestalten, ist, die erfolgreichen Gruppenangebote innerhalb der Vollzugsanstalten auch außerhalb des Vollzuges in den Strukturen der freien Träger zu etablieren, damit die Fortschritte der Klient*innen nicht am Tag der Entlassung verloren gehen. Die Anknüpfung der Angebote „draußen“ an bereits aus der Haft bekannte Strukturen erhöht die Chance, dass in der Haft begonnene Entwicklungen weitergeführt und erweitert werden, sich in der Freiheit verstetigen und nicht abbrechen. Hierfür ist die Unterstützung der Fachkräfte existenziell.

Ziel ist es, dass Angebote der freien Träger in der Haft und Strukturen außerhalb der Justizvollzugsanstalten miteinander verzahnt werden und der Übergang entsprechend bei Bedarf begleitet wird. Alle Angebote sind freiwillig und werden für die Klient*innen ressourcenorientiert, bedarfsgerecht und lebensweltorientiert angeboten. Die Projektmitarbeitenden begleiten die Fachkräfte der Freien Straffälligenhilfe und der Vollzugsanstalten bei der Umsetzung der Angebote mit der Absicht, Strukturen zu verstetigen.

Zur Veranschaulichung sei hier folgendes Beispiel beschrieben:

Das Angebot „Interkultureller Kochkurs“ wird zum einen in einem Jugendstrafvollzug und zum anderen in enger Kooperation mit einem Träger der Freien Straffälligenhilfe in Zusammenarbeit mit einem offenen Vollzug regelmäßig durchgeführt.

Der „Interkulturelle Kochkurs“ eignet sich, um niedrigschwellig – beim Zubereiten und Kochen des Essens – mit den Teilnehmenden ins Gespräch zu kommen. In diesen Gesprächen besteht auch die Chance, eine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und sozialen Themen anzustoßen. Die Teilnehmenden entscheiden zum Beispiel in einer demokratischen Abstimmung über die jeweiligen Gerichte, die gemeinsam zubereitet werden. Dabei ist auch die Herkunft der Gerichte Thema. Mit der Wahl werden gewaltfreie Aushandlungsprozesse sowie die Akzeptanz, dass eigene Wünsche nicht immer auf eine Mehrheit treffen, trainiert und gefestigt sowie Selbstwirksamkeit erfahren.

Ergänzend dazu werden beispielsweise zu den Herkunftsländern der Gerichte und zu religiösen oder kulturellen Festen ein Quiz und Fakten vorbereitet, die sich einerseits eignen, spielerisch ins Gespräch zu kommen, und andererseits en Raum öffnen, um Wertvorstellungen, (Vor-) Urteile und Wissensbestände zu thematisieren. Nicht selten regt das zu einer kritischen Auseinandersetzung und Reflexion der eigenen Haltung und Einstellung an und erweitert die Sichtweisen auf die Gesellschaft und die Welt.

Viele Gespräche finden auch in informeller Runde, zum Beispiel bei der Zubereitung der Gerichte, statt. Die lockere Atmosphäre ermöglicht Zugänge zu Themen, wie Ängste, Biografie etc., für die es Vertrauen, Akzeptanz und Offenheit braucht. Die Team- und Kommunikationsfähigkeit wird in der Gruppe gefördert sowie auch die Bereitschaft, „Neues“ auszuprobieren und eigene Fertigkeiten zu entdecken.

Neben den positiven Effekten wird auch die Beziehung zwischen den Klient*innen und den Fachkräften des offenen Vollzuges sowie der Freien Straffälligenhilfe gestärkt. Dies schafft positive und nachhaltige Synergien und hat somit einen bedeutenden Einfluss auf den weiterführenden Hilfeprozess für die aus der Haft entlassenen Menschen.

Das beschriebene Übergangsmanagement wird durch die Fachstelle Resozialisierung des Landesverband für Kriminalprävention und Resozialisierung Sachsen-Anhalt e. V. im Fachzentrum Radikalisierungsprävention in Strafvollzug und Straffälligenhilfe Sachsen-Anhalt (FRaP) umgesetzt.

 

von

In ganz Sachsen-Anhalt bietet die Hallesche Jugendwerkstatt gGmbH unter der Fachstelle religiös begründeter Extremismus im Fachzentrum Radikalisierungsprävention (FRaP) – Bereich Gewalt- und Radikalisierungsprävention Fortbildungen und unterstützende, begleitende und fallbezogene Coachings im Phänomenbereich religiös begründeter Extremismus für die verschiedenen Arbeitsfelder im Kontext von Justiz, Strafvollzug und Straffälligenhilfe an. Dadurch kooperieren wir mit so unterschiedlichen Institutionen wie den Sozialen Diensten der Justiz und dem Strafoder auch Maßregelvollzug. Wir richten unsere Fortbildungen und Coachings somit an ein breites Spektrum von Aufgabenbereichen und Berufsgruppen wie etwa Bedienstete des Allgemeinen Vollzugsdienstes (AVD), Sozialarbeiter*innen oder Psycholog*innen.

In den Fortbildungen und Beratungen geht es uns nie darum, den mit uns kooperierenden Fachkräften zu erklären, wie sie ihre Arbeit zu machen haben, sondern darum, die Handlungsfähigkeit zu stärken, um im jeweiligen Aufgabenbereich adäquat im Kontext neuer Herausforderungen agieren zu können. Oft betrifft dies den Aufbau vertrauensvoller Arbeitsbeziehungen mit Inhaftierten und Proband*innen vor dem Hintergrund unterschiedlicher Sozialisation und Hierarchien. Hier können in Fortbildungen und Beratungen Informationen, Anregungen und Denkanstöße bereitgestellt, neue Kontexte eröffnet und gemeinsam Zugänge und Perspektiven erarbeitet werden.

Den Aufbau stabiler und vertrauensvoller Arbeitsbeziehungen betrachten insbesondere Sozialarbeiter*innen, die ihre Tätigkeit in erster Linie als Beziehungsarbeit verstehen, als zentral. Aber auch der allgemeine Vollzugsdienst, in dessen Tätigkeitsbereich Sicherheitsaspekte im Vordergrund stehen, wirkt mittels Beziehungsarbeit bei der Resozialisierung mit.

In Bezug auf Geflüchtete und Migrant*innen, die in Sachsen-Anhalt auch die überwiegende Anzahl der Muslim*innen ausmachen, fehlt den Fachkräften gerade in den ostdeutschen Bundesländern meist jeglicher Kontext, es fehlt insbesondere etwa die Möglichkeit, über die Sprache Schlüsse auf Bildungsstand, soziales Milieu oder politische Einstellung zu ziehen. So fällt nicht nur die Arbeit im Kontext von Resozialisation und beruflicher Integration schwerer, vielmehr sind auch kriminogene Faktoren bzw. diejenigen, die zu einer Radikalisierung führen können, schwerer einzuordnen. Oft fehlt auch das Bewusstsein für die Krisen, Phasen und Herausforderungen in einem Flucht- und Migrationsprozess.

In unseren Fortbildungen versuchen wir, weg von solchen verallgemeinernden Kulturvorstellungen und hin zu einer differenzierteren Thematisierung von Sozialisationskontexten zu kommen, also genau jene Bedingungen zu thematisieren, die die jeweilige Person geprägt haben und ihr Handeln mitbestimmen, und die den Fachkräften zunächst nicht zugänglich sind. Dabei geht es nicht zuerst um die Vermittlung von feststehenden Wissensbeständen, sondern vielmehr um die Eröffnung eines Raumes der Hypothesenbildung, der über die Zuschreibung typisierender Kulturannahmen hinausgeht.

Unsere Fortbildungen sollen die Neugier wecken, genauer hinzuschauen, was sich hinter dem, was manchmal allzu leicht als „Kultur“ bezeichnet wird, verbergen kann. So öffnet sich für viele Fachkräfte ein Schlüssel zu bisher schwer einzuordnenden Verhaltensweisen und es wird deutlich, dass es keines Repertoires an Kulturwissen bedarf, um sich mit der eigenen Fachlichkeit einen lebensweltlichen Zugang erarbeiten zu können.

Die beschriebene Fortbildung wird von Hallesche Jugendwerkstatt gGmbH unter der Fachstelle religiös begründeter Extremismus im Fachzentrum Radikalisierungsprävention (FRaP) – Bereich Gewalt- und Radikalisierungsprävention umgesetzt.

 

von

Von September bis Ende November 2020 gestaltete eine Gruppe Inhaftierter einer Jugendanstalt eine Fassade in ihrem Haftbereich. Dabei setzten die Teilnehmer den Entwurf nicht nur selbstständig um, sondern entwickelten anhand ihrer Ideen und Vorstellungen drei Entwürfe und stellten diese den anderen Inhaftierten und den Mitarbeitenden des Wohnbereichs der Anstalt zur Wahl. Dabei wurden die Teilnehmer von den Künstlern Philipp Ludwig-Orlowski und Michael Thieme unterstützt. Das Projekt wurde auch in anderen Hafthäusern der Jugendanstalt in Sachsen-Anhalt durchgeführt.

Ein Teilnehmer berichtet in einem Gespräch, das durch die Projektmitarbeitenden regelmäßig zur Evaluation nach Ende des Angebotes durchgeführt wird, über seine Erfahrungen im Projekt.

Was hast du am Anfang über das Projekt gedacht?

Ich war negativ eingestellt, da ich hörte, wir dürften nicht selbst mitgestalten, was sich im ersten Gespräch jedoch zum Glück anders herausstellte. Ich hatte dann Lust auf das Projekt, war jedoch skeptisch, ob wir ein Bild entwerfen können, was zum Knast passt und womit man auch zufrieden ist und sich in einer gewissen Form auch identifizieren kann.

Wie wurden die Entwürfe entwickelt?

Eigentlich komplett aus unseren Themen und den Dingen, die sich für uns als sehr wichtig darstellen. Unsere ersten Gedanken wurden immer konkreter: Wir wollten Symbole und Darstellungen, mit denen wir etwas verbinden, was uns helfen soll, nach unserer Entlassung einen geordneteren und straffreien Weg zu gehen. Zum Beispiel: Ein Flugzeug steht für Freiheit, Felsen für Höhen und Tiefen im Leben usw. Ich finde auch gut, dass wir komplett nach unseren Vorstellungen die Entwürfe entwickelt haben, ohne von den Künstlern und Sozialarbeitern in eine Richtung gedrängt zu werden.

Welche Themen finden sich in den Entwürfen? Wie seid ihr zu den Themen gekommen?

Das Thema Familie steht für uns im Mittelpunkt – und generell Themen, die wir mit positiven Sachen in Verbindung bringen, die wir nach unserer Haft erreichen wollen, auch um straffrei zu bleiben. Weitere Themen sind Freiheit, eine Erinnerung, dass es im Leben immer Höhen und Tiefen gibt, und wir diese immer überwinden werden, auch wenn es manchmal noch so aussichtslos scheint. Um mal einen sehr unseriösen Hamburger Rapper zu zitieren: „Nach jeder Ebbe kommt die Flut“ – was stimmt. Es kommen auch immer wieder gute Zeiten. Das Thema Chance ist da auch ein wichtiges Thema. Nach unserer Haftzeit haben wir immer die Chance, jetzt was anders zu machen. Wir müssen es halt nur wollen. Prinzipiell sind die großen Themen die Zukunft und die Ziele, die jeder von uns hat: eine Familie gründen, in Freiheit leben und vor allem straffrei aus den Tiefen kommen. Die Themen kamen von uns allen über die Workshops. Wir haben sie gesammelt und umgesetzt.

Wie ist die Wahl abgelaufen?

Die Wahl lief gut und fair ab. Es gab durch den Kniff, die Reihenfolge der Entwürfe auf den einzelnen Stimmzetteln zu ändern, kaum eine Chance der Manipulation. Jeder konnte eigenständig und selbst entscheiden, welcher Entwurf sein Favorit ist. Nach demokratischem Vorbild kam es dann zu einem Ergebnis. Alles in allem eine sehr gut organisierte Wahl.

Wie hat dir die Zeit im Projekt gefallen?

Alles in allem ein cooles Projekt. Ich fand vor allem den Umgang mit uns total chillig. Keine Vorschriften, eine lockere und gute Atmosphäre und wir konnten eigentlich die gesamten Workshops und das Projekt mitgestalten. Es gab keine befremdliche Atmosphäre durch das lockere „du“ unter allen. Auch wenn wir keine leichte Truppe sind und viele anstrengende Phasen hatten, war es trotzdem immer ein respektvoller und wertschätzender Umgang, der das Projekt echt als super gelungene Sache darstellt. Man ist für ein paar Stunden einfach mal kein Häftling mit dem Nachnamen als Rufnamen, sondern der, der man auch „draußen“ unter den Kumpels und der Familie war und ist. Ich freue mich über das Endergebnis und auf ein Bild davon, was ich hoffentlich meinen Enkeln später zeigen und stolz behaupten kann, dass ich nach diesem Vorbild meine Zeit nach der Haft genutzt habe und nie wieder eine Anstalt von innen sehen musste, da ich aus der ganzen Sache gelernt habe. Ich hoffe auch, dass mir das Bild an schlechten Tagen im Vollzug gute und coole Erinnerungen an die Workshops bringt und mir vor Augen führt, dass ich alles dafür  ue, nicht wieder in den Knast zu müssen. Leider ist das unsere einzige freie Wand. Ich hätte Lust darauf, solche Projekte öfter zu machen.

Dieses Kunstprojekt ist ein Angebot des Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e. V., welches im Rahmen des Fachzentrum Radikalisierungsprävention in Vollzug und Straffälligenhilfe Sachsen-Anhalt durchgeführt wurde.