Glossar

Extremismus

Rechtsextremismus ist eine Ideologie der Ungleichwertigkeit von Menschen.
Dabei fließen antidemokratische Einstellungsmuster, beispielsweise Ungleichwertigkeitsvorstellungen bzw. -überzeugungen und -verhaltensweisen, die in Gewalt münden, ineinander. Dies schließt die Akzeptanz fremdausgeführter Gewalt ein.

Zur Ideologie gehören verschiedene Fragmente, die je nach Person(-enkreis) in unterschiedlicher Ausprägung in Erscheinung treten: u. a. Nationalismus, Ethnozentrismus, Sozialdarwinismus, Antisemitismus, Totalitarismus, Sexismus, Chauvinismus, Verharmlosung des Nationalsozialismus, Etabliertenvorrechte und Abwertung von Menschengruppen. Dadurch bildet Rechtsextremismus einen radikalen Kontrapunkt zu den Menschenrechten.

Rechtsextreme Akteur*innen bewegen sich u. a. in Szenen mit Neonazis, „Reichsbürgern“, Verschwörungsideolog*innen, Rechtspopulist*innen oder Vertreter*innen der Neuen Rechten.

 

Religiös begründeter Extremismus ist eine Sammelbezeichnung für alle politischen Auffassungen und Handlungen, die im Namen einer Religion die Errichtung einer allein religiös legitimierten Gesellschafts- und Staatsordnung anstreben. Der Schwerpunkt der AG Strafvollzug und Bewährungshilfe liegt auf dem Bereich des islamistischen Extremismus.

Der ideologische Ursprung der gemeinten Bewegung liegt in innerislamischen Reformbestrebungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts; die organisatorische Wurzel ist in der 1928 in Ägypten gegründeten „Muslimbruderschaft“ zu sehen.
Allen späteren Strömungen war und ist die Absicht eigen, den Islam nicht nur zur verbindlichen Leitlinie für das individuelle, sondern auch für das gesellschaftliche Leben zu machen. Dies bedeutet: Religion und Staat sollen nicht mehr getrennt und der Islam institutionell verankert sein. Damit einher geht die Ablehnung der Prinzipien von Individualität, Menschenrechten, Pluralismus, Säkularität und Volkssouveränität.

 

Prävention

Primäre Prävention im Arbeitskontext Justizvollzug und Straffälligenhilfe bedeutet die Stärkung von Inhaftierten und Proband*innen gegenüber Ansprachen und Haltungen aus dem extremistischen Milieu durch Angebote der politischen Bildung und/oder Menschenrechts- bzw. Demokratiebildung. Die Stärkung und Auseinandersetzung mit der eigenen Identität sowie die Anerkennung und Tolerierung unterschiedlicher Lebenswelten (Ambiguitätstoleranz) sind ebenfalls erprobte Mittel im Feld. Die methodischen Ausrichtungen arbeiten mit dem Ziel, demokratische Werte zu vermitteln und zu festigen sowie soziale Kompetenzen zu stärken.

Weiterhin richten sich Angebote der Primärprävention auch an das Fachpersonal im Kontext Resozialisierung. Parallel zur Angebotsgestaltung für Inhaftierte und Proband*innen verfolgt dieses Vorgehen das Ziel, die vorhandene Regelstruktur im Umgang mit und der Vermeidung von Radikalisierung zu unterstützen. Ihre inhaltliche Ausgestaltung wird als Prozess des Erkenntnisgewinns verstanden und umfasst:

  • Formate der Wissensvermittlung (z. B. regionale Ideologie bzw. einzelne Ideologiefragmente, Symbolik der Szenen, regionale Strukturen, Besonderheiten der Jugendphase, Chancen von Diversität)
  • Beratungssituationen zu spezifischen Themen (z. B. Klärung eines professionellen Rollenverständnisses, Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung, Sensibilisierung gegenüber und Anerkennung von verschiedenen Lebenswelten der Inhaftierten und Proband*innen)

 

Sekundärprävention im Kontext Strafvollzug und Straffälligenhilfe setzt bei bereits ideologieaffinen Einstellungsmustern an. Entsprechende Angebote tragen dazu bei, Radikalisierungstendenzen frühzeitig zu erkennen und professionell darauf zu reagieren. Dazu gehören Maßnahmen, in denen die Klient*innen begleitet und unterstützt werden, sich kritisch mit menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Ideologien
auseinanderzusetzen, um neue und offene Denk- und Handlungsräume zu erschließen. Die Klient*innen werden gestärkt gegenüber manipulativen Faktoren, um eine eigene Zukunft zu gestalten, in der sie weder sich noch andere schädigen. Diesem Verständnis entsprechend beginnt hier die Distanzierungsarbeit sowie die Arbeit mit den sozialen Bezugssystemen der Klient*innen. Hierbei geht es vor allem um die Stärkung von an demokratischen Werten orientierten Unterstützungsstrukturen.

 

Deradikalisierung ist ein ordnungspolitischer Begriff. Die Mitglieder der AG Strafvollzug und Bewährungshilfe verwenden ihn in ihren Arbeitszusammenhängen sehr selektiv.
Sie beschreiben ihre Arbeit vielmehr als Prozess, innerhalb dessen Menschen begleitet und unterstützt werden, sich neue und offene Denkräume zu erschließen. Sie bieten Distanzierungsberatung an, auf persönlicher und inhaltlicher Ebene, damit Klient*innen sich von menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Ideologien schrittweise lösen können. Es geht darum, ideologisierte Einstellungsmuster als Rechtfertigung von Gewaltmotiven zu erkennen und sich mit Hilfe einer umfassenden sozialpädagogischen und z. T. -psychologischen Integrationsarbeit davon zu distanzieren. Im Ergebnis können die Menschen, gestärkt gegenüber manipulativen Faktoren, eine eigene Zukunft gestalten, in der sie weder sich noch andere schädigen.

Angebote der tertiären Prävention zielen auf das Auslösen, Unterstützen und Begleiten von Distanzierungsprozessen bei Personen mit Anschluss an extremistische Szenen und geschlossenem Weltbild. Die angewandten Methoden orientieren sich am Radikalisierungsgrad der Inhaftierten bzw. Proband*innen und sind abhängig von ihrer Rolle in der Szene, von kognitiven Fähigkeiten sowie von der Einstellung zu Gewalt. Angesprochen werden Ausstiegswillige sowie radikalisierte Personen, die noch keinen expliziten Ausstiegswunsch geäußert haben. Auch Angehörige und das Umfeld können von den Angeboten profitieren.

Angebote zur prozesshaften Distanzierung werden derart angelegt, dass sie bei den Klient*innen folgende Veränderungen auslösen:

  • Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols
  • Akzeptanz von Gleichheit, Vielfalt und Menschenrechten
  • Änderung des Sprachgebrauchs
  • Ambiguitätstoleranz
  • Distanzierung von destruktiven Handlungsweisen
  • Wahrnehmung alternativer Handlungsmöglichkeiten
  • keine Eigen- und Fremdgefährdung
  • Ausbleiben einer erneuten Inhaftierung

 

Zielgruppen

Die Angebote orientieren sich an der Lebenswelt und dem individuellen Entwicklungsstand der Klient*innen. Im besonderen Fokus stehen dabei Jugendliche und junge Erwachsene, die aufgrund der altersbedingten Herausforderungen besonders anfällig für radikale Ideologien sind.

Inhaftierte und Proband*innen der Straffälligenhilfe sind häufig Mehrfachbelastungen ausgesetzt. Ein Verweis an weitere Unterstützungssysteme kann hilfreich sein. Die Integration in Schule, Ausbildung oder Arbeit kann stabilisierend wirken.

 

Angebotsempfänger*innen sind Mitarbeiter*innen der Fachdienste, des allgemeinen Vollzugsdienstes sowie Fachkräfte der Straffälligenhilfe im Kontext Resozialisierung.
Sie können Fortbildungen, Coachings und Organisationsberatung für sich in Anspruch nehmen. Die Inhalte beziehen sich je nach Bedarf auf die Phänomenbereiche Rechtsextremismus oder religiös begründeter Extremismus.

Idealerweise können die Angehörigen dieser Zielgruppe auch als Multiplikator*innen gewonnen werden.

 

Angebote

Die Distanzierungsberatung beginnt mit einer Auftragsklärung. Der*die Klient*in wird als Auftraggeber*in verstanden, der*die Ziele und Bedarfe formuliert, anhand derer sich die Beratung orientiert und die im Beratungsprozess immer wieder überprüft und ggf. neu ausgerichtet werden. In diesem Rahmen fügen sich „eigene“ (professionelle) Aufträge und Aufträge von außen mit ein. Die Klärung der Auftragslage erfolgt prozesshaft und individuell.

Über die Inhalte des Beratungsgespräches herrscht Vertraulichkeit. Diese ist essentiell für eine tragfähige Arbeitsbeziehung. Aus diesem Grund werden gegenüber Dritten keine Prognosen/Gefahreneinschätzungen vorgenommen. Möglich ist lediglich eine allgemeine Beschreibung des Beratungsverlaufes.

Die Distanzierungsberatung erfolgt weder unter Einbezug sicherheitsbehördlicher Perspektiven, noch wird sie derart konzipiert, dass Aufgaben von Sicherheitsbehörden erfüllt werden.

Die Beratungen finden i. d. R. unter Anwendung des Vier-Augen-Prinzips statt, d. h. die Berater*innen arbeiten als festes Tandem.

Obligatorische Bestandteile der Beratungsarbeit sind begleitende Inter- und Supervisionen.

 

 

 

Gruppenangebote sind grundsätzlich Bestandteile der primären und sekundären Prävention. Sie können als Freizeitangebot (freiwillig) oder im Rahmen des Vollzugsplans (verpflichtend) umgesetzt werden. Angesprochen werden Inhaftierte bzw. Proband*innen.

Gruppenangebote werden in Zweier-Teams umgesetzt.

Die Gruppengröße umfasst i. d. R. sechs bis zehn Teilnehmer*innen, deren Eignung idealerweise innerhalb eines Auswahlverfahrens eruiert wird. Das Alter der Teilnehmenden ist abhängig von der Vollzugsart (Jugend/Heranwachsende/Erwachsene).

Zur Verfügung stehen sollte ein geschützter Raum für den offenen Austausch. An der Durchführung sind nur so viele Personen zu beteiligen, wie es den Erfordernissen der Gruppenkonstellation angemessen erscheint. Dies können neben den hauptverantwortlich durchführenden Fachkräften des Trägers Schlüsselpersonen in den Anstalten, spezialisierte Honorarkräfte oder Fachkräfte der sozialen, pädagogischen, psychologischen Fachdienste sein. Bedienstete des Allgemeinen Vollzugsdienstes sind nur in Einzelfällen zu beteiligen, wenn es die Sicherheitslage unbedingt erfordert.

Durchführungszeitraum und -frequenz richten sich nach den Tagesabläufen der Inhaftierten bzw. nach den Möglichkeiten der Anstalten sowie nach den Rahmenbedingungen der Berater*innen.

Dokumentation: Wenn nötig, werden Entwicklungsberichte und/oder Verlaufsprotokolle angefertigt. Sie enthalten keine individuellen Prognosen oder Diagnosen. Sie dienen dem internen Gebrauch bzw. können in Absprache mit den Teilnehmenden auch den Anstalten zur Verfügung gestellt werden. Über den Inhalt der Berichte herrscht bei allen Beteiligten Transparenz.

 

 

 

Bedienstete wie Fachkräfte können im Rahmen von Fortbildungen als Multiplikator*innen gewonnen werden. Neben der Wissensvermittlung ist das Ziel der Fortbildungen die Reflexion der eigenen Haltung und Rolle in geschlossenen Systemen wie der Justizvollzugsanstalt.

Fortbildungen finden in interprofessionellen Gruppen mit bis zu 20 Teilnehmer*innen statt. Die Teilnahme ist idealerweise freiwillig. Die Terminierung erfolgt innerhalb der Arbeitszeit. Die Veranstaltung wird möglichst von zwei Referent*innen durchgeführt.

 

Neben den mehrheitlich universalpräventiv gestalteten Fortbildungen umfasst das Angebotsportfolio auch Coachings, die sich an das Fachpersonal aus den Bereichen Justizvollzugsanstalt und Straffälligenhilfe richten. Die Inhalte orientieren sich an den spezifischen Ausgangslagen der Anfragenden. Dabei kann es beispielsweise darum gehen, wie mit bestimmten Verhaltensweisen und Äußerungen radikalisierungsgefährdeter Personen umgegangen werden kann oder welche Angebote für eine bestimmte (radikalisierte) Person sinnvoll sind. Ziele sind demnach ein Zuwachs an Kompetenz, die Förderung der Handlungssicherheit sowie nicht zuletzt die Fallakquise.

Die Coachings können im Einzelsetting, aber auch in kleineren Gruppen umgesetzt werden. Die Teilnahme erfolgt im Gegensatz zu den Fortbildungen anlassbezogen. Die Veranstaltung wird von zwei Coaches geleitet. Ort und Terminierung richten sich nach den Bedürfnissen der Anfragenden.

 

 

Organisationsberatung kann Bestandteil der Arbeit sein, wenn es von Organisationsseite gewünscht ist und der Träger über die entsprechenden Ressourcen verfügt.

Ziel der Organisationsberatung ist es, gemeinsam mit den Mitarbeiter*innen der Anstalt die Strukturen des Justizvollzuges und seiner Netzwerke an die Anforderungen gelingender Präventions- und Distanzierungsarbeit anzupassen und dauerhaft zu verankern.

Folgende Faktoren sind die Basis der Organisationsberatung:

  • Gegenseitiges Vertrauen
  • Anerkennung der hausinternen Herausforderungen/Schwierigkeiten/Probleme
  • Organisationsanalyse

 

Methoden

Das Methodenspektrum ist vielfältig. Es erfolgt eine situative Anpassung der Methoden, damit sie in verschiedenen Kontexten genutzt werden können. Dadurch ergeben sich methodische Überschneidungen für die Präventionsbereiche Primär, Sekundär und Tertiär.